Ben Willikens

2019 konnte eine Arbeit des Künstlers Ben Willikens für die landeskirchliche Kunstsammlung angekauft werden. Willikens, geboren 1939 in Leipzig, ist bekannt für seine streng komponierten, ganz in Grau gehaltenen Raumbilder. So auch die Neuerwerbung: eine Serigrafie – eine andere Bezeichnung für Siebdruck – mit dem Titel „Abendmahl“ aus dem Jahr 2010. Die druckgrafische Arbeit geht zurück auf ein frühes Gemälde des Künstlers, das eines seiner bekanntesten ist: das dreiteilige, mit seinen drei auf sechs Metern geradezu monumentale „Abendmahl“ aus den Jahren 1976-1979 (Deutsches Architekturmuseum, Frankfurt am Main). Dieser Erstfassung folgten ein paar ebenfalls mit Acryl auf Leinwand gemalte Varianten.

„Abendmahl“
Serigrafie
2010

„Abendmahl“ – der Titel verrät schon, welches große Vorbild Ben Willikens aufgreift: „Das letzte Abendmahl“, knapp 500 Jahre zuvor von Leonardo da Vinci auf eine neun Meter breite Wand im Speisesaal des Dominikanerklosters Santa Maria delle Grazie in Mailand gemalt. Ein Meilenstein der Kunst. So berühmt, dass man es unweigerlich mitsieht, wenn man auf Ben Willikens „Abendmahl“ blickt. Und genau das macht besonders deutlich, was hier fehlt: die Menschen. Jesus und die zwölf Apostel. Sie sitzen bei Leonardo an der langen, gedeckten Tafel zum letzten gemeinsamen Mahl. Die Jünger sind in Aufruhr. Gerade hat Jesus gesagt: „Einer von euch wird mich verraten.“ Er ist der Mittelpunkt der zentralperspektivischen Komposition.

Das System der Perspektive hat Willikens in den 1970er Jahren beschäftigt. Nachdem er Leonardos „Abendmahl“ im Original gesehen hatte, setzte er sich in zahlreichen Studien mit dem Bild auseinander. Allerdings nur mit dem Raum. Die Personen radierte er – wortwörtlich – von Anfang an aus: Nach dem Besuch in Mailand hatte Willikens sich eine Postkarte des „Abendmahls“ gekauft und, in einem Café sitzend, erst einmal alle Figuren mit einem Kugelschreiber übermalt. Dieses Vorgehen zur Bildfindung war nicht neu, so hatte Willikens es zuvor schon mit Fotos gemacht, die ihm als Vorlagen für seine Psychiatriebilder dienten. Der Unterschied war nun, dass er dem „Abendmahl“ mit seinem Personal auch die tradierte Botschaft nahm.

Was bleibt bei Willikens, ist die Grunddisposition des Raumes. Der Eindruck jedoch ist ein völlig anderer: Aus Leonardos wohnlichem Speisezimmer wird ein kühler Raum, der eher an einen Operationssaal erinnert. Aus den wärmenden Gobelins an den Wänden werden harte Stahltüren, die Kassettendecke weicht nacktem Putz, spiegelblank glänzen die Kacheln des Bodens. Der fast raumbreite Tisch hat Beine aus Stahlrohr statt Holz. Blendend weiß liegt eine Decke ohne jeden Fleck, ohne jede Falte darauf. Gleich ist in beiden Bildern, dass sich der Tisch wie ein Riegel zwischen uns und das, was hinter ihm liegt, schiebt. Leonardos Komposition kulminiert in der Figur Jesu, die direkt im Fluchtpunkt der Linien sitzt. Der Erlöser wird durch den hellblauen Himmel, der durch die drei Öffnungen der Rückwand zu sehen ist, noch betont. Bei Willikens gibt es keine Menschen und auch keine Landschaft mehr. Bei ihm blicken wir in einen weiteren hell erleuchteten Raum. Der Kachelboden setzt sich darin nahtlos fort.

Nur Leere. Und Licht. Dieses Licht ist es, das Willikens Bild etwas Versöhnliches gibt. Das Licht verwandelt den unangenehm glatten und kühlen Raum in einen Ort der Stille, von dem eine eigentümliche Kraft und Ruhe ausgeht. Zumindest kann man das darin sehen. Denn gerade die Leere ergibt diese Offenheit der Deutung, wie Ben Willikens selbst einmal über sein „Abendmahl“ sagte: „Letztlich ist es eine Projektionsfläche, und das Gefühl, aus dem heraus ich es damals in einer aufklärerischen, aufrührerischen, auch aggressiven Geste des Vorzeigens, was aus Utopien alles so werden kann, malte, ist selbst längst historisch.“

Serigrafie auf Bütten
H. 77 cm, B. 108 cm