In der landeskirchlichen Kunstsammlung befinden sich mehrere Blätter aus einer losen Serie, in der sich der Georg Bernhard mit dem Thema Totentanz auseinandersetzt. Seit 2006 entstanden zahlreiche Einzelszenen der Begegnung von Mensch und Tod.
Auf dem 2008 datierten Blatt ist eine in Schwarz gehüllte Figur zu sehen. Das eng anliegende Gewand ist weit über den Kopf gezogen, eine Hand verdeckt in Trauer und Gram das Gesicht. Die linke Blattkante suggeriert eine Wand, an die die Figur sich lehnt, die Beine weit nach vorne gestellt, als würde sie gleich auf den Boden hinabrutschen und gänzlich in sich zusammensinken. Rechts steht, ebenfalls in strengem Profil, ein Skelett, der Tod. Er hat den Oberkörper nach vorne gebeugt und nähert sich der Figur in einer tröstenden, ja beinahe zärtlichen Geste: Er legt seine knochige Hand auf die ihre und berührt ihre Stirn mit einem Kuss. „Tod und Witwe“ nennt Andreas Link die Darstellung in einem kleinen, 2013 gemeinsam mit Georg Bernhard herausgegebenen Band zu den Totentanz-Bildern des Künstlers. Doch um wen trauert die Frau? Um den verstorbenen Gatten? Oder holt der Tod sie gar selbst? Erkennt sie, dass es „ihr“ Moment, ihr letzter ist? Die langen, dürren Finger der Witwe sehen aus wie die des Gerippes. An manchen Stellen drücken sich dunkle Flecken von der Rückseite durch. Georg Bernhard hat dort mit dick aufgetragener Farbe einen großen schwarzen Flügel gemalt. Darauf kleben drei Totenschädel aus transparentem Papier, die ihm zuvor als Schablonen für die Köpfe seiner Todesfiguren dienten.
Ganz anders das zweite Blatt aus dem Jahr 2010: „Tod und Mädchen“, wie Andreas Link es betitelt. Hier scheint es, als würde der Tod sich hämisch freuen. Er holt sich eine junge, in voller Blüte stehende Frau. Mit der Rechten fasst er sie am Arm, in der Linken hält er ein abgelaufenes Stundenglas. Georg Bernhard spiegelt die Frau in hellerem Ton in sich selbst: Ihr Kopf ist auf Kniehöhe noch einmal zu sehen – ein Kunstgriff, der in seinen Arbeiten immer wieder zu finden ist. Zudem zeichnet er ihren Oberkörper zweimal. Diese Doppelung erweckt den Eindruck, als würde die Figur schwingen. Ein Zurückziehen, ein Schwanken? Den Tod schert das nicht. Er zieht das Mädchen unbeirrt mit sich fort. Auch das Skelett versetzt der Künstler – hier wie auf anderen Blättern – durch einen doppelten Umriss in Bewegung. Das steigert die Intensität des ohnehin eindringlichen Themas, das die Kunst seit dem Mittelalter als Reaktion auf die großen Pestwellen kennt: den Tod, der alle holt, vor dem alle gleich sind.
Georg Bernhard, 1929 in Augsburg geboren, vielfach ausgezeichnet, ist ein Meister der Linie. Das zeigen auch seine anderen Arbeiten, etwa die Wand- und Glasmalereien, die vor allem für katholische Kirchenräume entstanden. Die beiden Blätter in der landeskirchlichen Kunstsammlung zeugen von seinem feinen künstlerischen Gespür: Georg Bernhards Totentanz ist nie plakativ, nie brutal, sein Bild von den letzten Dingen ist von hoher Ästhetik.
Rohrfeder auf Büttenpapier
Jeweils ca. H. 100 cm, B. 70 cm